Wissenschaftsbeirat

Beiratsmitglieder sind:

Cordula Reulecke (Landesamt für Denkmalpflege) sowie

Dr. Thomas Kubetzky, der neben

Dr. Klaus Latzel das Historische Seminar der Technischen Universität (TU) Braunschweig vertritt.

Dr. Jens Binner (Kreisheimatbund Peine)

Britta Schwartz-Landeck (Vechelder Gemeindeverwaltung).

 

Richtlinien des wissenschaftlichen Beirates

 

Januar 2014

 

Verein „ZeitRäume Bodenstedt“ e.V.

 

Richtlinien des wissenschaftlichen Beirates

 

1. Grundlagen

Die finanzielle Förderung der Einrichtung einer Dauerausstellung in den Gebäuden der Hofstelle Bodenstedt erfolgte unter ausdrücklicher Anerkennung der hohen überregionalen Bedeutung des Ensembles. Kernelement ist dabei die weitgehend original erhaltene Inneneinrichtung der verschiedenen Räume, in der sich verschiedene Zeitperioden widerspiegeln. Eine in herkömmlichen Museen erst künstlich herzustellende Historizität ist hier ursprünglich gegeben und damit für den Besucher auratisch erlebbar. Einzelne Einrichtungen dürften bundesweit einmalig sein, wie die im ehemaligen Tanzsaal eingebaute Flüchtlingsküche inklusive der aus Pappe hergestellten und mit Zeitungspapier beklebten Trennwand sowie des Herdes. Gegenwärtig wird die Hofstelle über zwei verschiedene Elemente belebt. Zum einen handelt es sich dabei um Veranstaltungen im herkömmlichen Rahmen wie Sommerfeste oder Flohmärkte. Sie stellen ein niederschwelliges Angebot dar und dienen in erster Linie der Erhöhung der Akzeptanz der Einrichtung in der lokalen Bevölkerung. Angesichts immer wieder geschürter politischer Diskussionen um die Sinnhaftigkeit des Erhalts der Hofstelle stellen derartige Veranstaltungen, die in erster Linie vom Förderverein organisiert werden, eine dauerhaft zu erhaltende Notwendigkeit dar. Darüber hinaus gibt es auch bereits Veranstaltungen, die über diesen Horizont hinausgehen. Dazu zählen populärwissenschaftliche Vorträge, literarische Lesungen und Konzerte.

Zum anderen bietet die mittlerweile installierte Dauerausstellung eine grundlegende Orientierung. Dabei wird über die Einrichtung und Nutzung der Räume informiert und in einem speziellen Bereich auch eine knappe Geschichte der Bewohner geliefert. Führungen werden inzwischen nicht nur im Rahmen der Sonntagsöffnungen angeboten, sondern auch gezielt für Schulklassen. Damit ist der Kontakt zu einer auch zukünftig fundamental wichtigen Zielgruppe hergestellt. Der Anspruch der überregionalen Bedeutung ist mithilfe der Dauerausstellung jedoch nur teilweise zu erfüllen. Denn dieser erschöpft sich nicht darin, dass die Räume weitgehend original verschiedene geschichtliche Epochen repräsentieren. Sondern er liegt insbesondere auch darin, dass sich über die Geschichte der Bewohner lokale und überregionale Geschichte verbinden lässt und allgemeine historische Phänomene am konkreten Beispiel aus der Abstraktion gelöst werden können. Leitthema sollte dabei die Einbeziehung des ländlichen Raumes in überörtliche Entwicklungen zwischen 1870 und 1965 sein. Die Betonung der Verflechtungen zwischen Dorf und Region und das Aufzeigen

weiträumiger kommunikativer Stränge sind geeignet, Vorstellungen einer vermeintlich

abgeschiedenen „heilen Welt“ zu brechen und das Dorf als Kernpunkt von Entwicklungen zur

Moderne zu kennzeichnen, die in verschiedenen Geschwindigkeiten ablaufen. Unterhalb des

Metathemas der Industrialisierung des ländlichen Raumes können dabei politische, ökonomische, soziale oder kulturelle Veränderungen gefasst werden, die sich hier anders entwickeln, als in den Metropolen, in denen sie ihren Ausgang genommen haben. Ein Beispiel für eine gelungene Umsetzung dieser Absicht bietet der Abschnitt zur Kolonialgeschichte in der Ausstellung. Hier wird in einem Screen ergänzend zur Einrichtung auf den Kontext der Entstehung hingewiesen, indem ein Fotoalbum mit Aufnahmen eines Familienmitgliedes gezeigt wird, die während der Tätigkeit als Kolonialbeamter in Afrika entstanden sind. Doch obwohl die Kommentierung eindeutig auf den „kolonialen Blick“ des Fotografen, eine teilweise rassistische Motivauswahl und die Realität im Alltagsleben hinweist, wäre auch hier eine weitergehende Einbettung denkbar. Dazu müsste auf breiterer Quellengrundlage auf den kolonialen Diskurs im Kaiserreich, das verbreitete Gefühl des Zu-Spät-Gekommenseins und die Auswirkung dieser Stimmungen im Vorfeld des Ersten Weltkrieges verwiesen werden, idealerweise an Materialien aus dem Raum Braunschweig-Peine. Außerdem müsste genauer untersucht werden, ob es neben der Ausstattung des Raumes weitere Auswirkungen innerhalb der Familie gegeben haben könnte. Dieses Beispiel, dessen Ausgestaltung hier nur angerissen wurde, soll zeigen, dass noch umfassende Anstrengungen notwendig sind, um die ZeitRäume Bodenstedt als überregional bedeutsames Museum in den Fokus der – nicht zuletzt wissenschaftlichen – Öffentlichkeit zu rücken.

 

2. Der wissenschaftliche Beirat

Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war die Gründung eines wissenschaftlichen Beirates durch den Förderverein „ZeitRäume Bodenstedt e.V.“. Die besondere Schwierigkeit der Tätigkeit des Beirates besteht darin, dass er bei einer Einrichtung angesiedelt ist, die vorerst über keinen festen Personalstamm verfügt. Daher muss bei allen Maßnahmen immer in besonderem Maße die Möglichkeit der Umsetzung im Auge behalten werden. Die Mitglieder des Beirates sind daher angehalten, sich bei allen Vorhaben auch Gedanken über die praktische Durchführung zu machen und die einzelnen Schritte der Realisierung von vornherein miteinzubeziehen. Aus dieser Grundproblematik heraus ist klar, dass es nicht um langfristig angelegte Forschungsprojekte gehen kann, sondern um Vorhaben, die mit überschaubaren Mitteln Ergebnisse präsentieren, die auch der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit in verständlicher Form präsentiert werden können. Denkbar sind Forschungen zu begrenzten Themen, deren Ergebnisse in temporärer Form zugänglich gemacht werden können: Wechselausstellungen, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Tagungen. Grundlage dafür können wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten oder universitäre Seminare sein. Angesichts der erhöhten Bedeutung, die eine angemessene öffentliche Präsentation und Diskussion der Forschungsergebnisse heutzutage an den Universitäten hat, ist die Möglichkeit dazu, die von der Hofstelle Bodenstedt geboten wird, attraktiv. Weiter ist an Schulprojekte zu denken, die wissenschaftlich begleitet sein sollten. Im Rahmen dieser Möglichkeiten fallen dem wissenschaftlichen Beirat vorwiegend folgende Aufgaben zu:


- Formulierung theoretischer Grundlagenpapiere, mit denen an Schulen und Forschungseinrichtungen um Projekte geworben werden kann

 

- Ausarbeitung von Förderanträgen


- Pflege von Kontakten zu Schulen und Forschungseinrichtungen aller Art (z.B. Vorstellung des Projektes in den Fachkonferenzen Geschichte)


- Steigerung des Bekanntheitsgrades der ZeitRäume Bodenstedt in der wissenschaftlichen

Öffentlichkeit (z.B. über Präsentation des Konzeptes auf Konferenzen)


- Erstellung eines Quellenüberblicks und dauerhafte Führung einer Bibliographie (außer

Tagespresse)


- Sicherung von Quellen in der Ortschaft Bodenstedt (Fotos, Dokumente, Gegenstände, die

einen Bezug zur Hofstelle und ihren früheren Bewohnern aufweisen)


- Zusammenarbeit mit den Projektanten der „Sprechende ZeitWände-Bauernhof Bortfeld“ und dem Industriemuseum Ilsede (bzw. dem Kreismuseum Peine), um das Fernziel der

epochenübergreifenden kulturtouristischen Leit-Idee „Industrialisierung des ländlichen

Raumes - Visualisierung einer sich verändernden Kulturlandschaft zu fördern


- Erstellung eines Themenkataloges, orientiert an den unterschiedlichen Inhalten und

Zeitschichten der Räume Gerade dieser letzte Punkt der Entwicklung eines Themenkataloges sollte zunächst im Vordergrund stehen, da hierdurch potentiellen Kooperationspartnern bereits mit konkreten inhaltlichen Vorstellungen begegnet werden kann. Dies ist bei einer überregional noch kaum etablierten Einrichtung wie der „ZeitRäume Bodenstedt“ besonders bedeutsam, da angesichts der Vielfältigkeit der deutschen Museumslandschaft singuläre Spezifika und inhaltliche Überschneidungen mit den

Interessensgebieten der Kooperationspartner herausragende Bedeutung gewinnen.

 

3. Themenkatalog

Jeder ZeitRaum der Hofstelle Bodenstedt mit seiner original erhaltenen Einrichtung und Gestaltung repräsentiert einen meist klar umrissenen Zeitraum, aber in der Regel auch eine Vielfalt an möglichen Themen, die davon ausgehend behandelt werden können. Erste Überlegungen dazu lauten wie folgt:


Raum 01.02 – Bodenstedter Gastlichkeit

 

- Öffentlichkeit ohne Massenmedien: Funktion der Gastwirtschaften in den Dörfern zwischen

Kaiserreich und Nationalsozialismus


- Die „Welfen“: Die Deutsch-Hannoversche Partei als regionale Sonderentwicklung


- Ländlicher Raum und Industrielandschaft

 

Raum 01.03 – Herrenzimmer mit Anschluss


- Geschlechterrollen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus


- Beginn der schnellen überregionalen Kommunikation im Dorf: Telefon und Post

 

Raum 01.04 – Kolonialstolz


- Wahrnehmung der Kolonien im Dorf zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg


- Mentalitätswandel durch den Aufstieg zur „Kolonialmacht“

 

Raum 01.07 – Wohnen im Stand


- NS-Herrschaft und Veränderung des dörflichen Sozialgefüges: neue Funktionäre und

etablierte Machtstrukturen


Raum 01.15 – Der festliche Salon


- Bürgerliche Wohnkultur im ländlichen Raum zwischen Adelssehnsucht und Moderne

 

Raum 01.18 – Sommer in Bodenstedt


- Gestaltungsräume alleinstehender Frauen im Kaiserreich

 

Räume 01.22 Zeitportal und 01.36 – Tanzsaal


- Zwangsmigrationen im 20. Jahrhundert: Ausländische Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft

im Zweiten Weltkrieg; Aufnahme von Flüchtlingen im ländlichen Raum nach 1945 Zu jedem dieser Themen können weitere Unterthemen aufgefächert werden. Jedes dieser Themen

kann in der Weise bearbeitet werden, dass Quellen vom konkreten Ort ausgehend recherchiert werden. Es müssen zunächst direkte Bezüge der Bewohner der jeweiligen zeitlichen Phase zu den Themen konkretisiert werden. Dann muss der Fokus schrittweise breiter gezogen werden, vom Dorf über die Region auf größere Einheiten. Referenzpunkt muss immer der jeweilige allgemeine Forschungsstand sein, der Bestätigung finden kann, aber auch aufgrund lokaler Sonderfaktoren Differenzierung erfährt. Fernziel sollte eine Ergänzung der bisherigen Dauerausstellung durch eine stärkere themenbezogene Darstellung sein. So ergibt sich v.a. für die Schulen der Region die Möglichkeit, eine breite Palette von Themen mit unmittelbaren regionalen Bezügen zu bearbeiten.


Der wissenschaftliche Beirat des Vereins „ZeitRäume Bodenstedt“ e.V.

Dr. Jens Binner, Sprecher des Beirats, 2. Vorsitzender KHB Peine e.V.

Dipl.-Ing. Cordula Reulecke, Landesamt für Denkmalpflege

Britta Schwartz-Landeck, Gemeinde Vechelde

Dr. Klaus Latzel, Historisches Seminar der TU Braunschweig

Dr. Thomas Kubetzky, Historisches Seminar der TU Braunschweig

 

Mitgliederversammlung des Vereins „ZeitRäume Bodenstedt e.V.“ 2014

Bericht des wissenschaftlichen Beirates

 

Im Jahr 2013 hat der wissenschaftliche Beirat des Vereins „ZeitRäume Bodenstedt“ e.V. seine Ideen zur Verankerung der Hofstelle Bodenstedt in der überregionalen Museums- und Erinnerungslandschaft weiter vorangetrieben. Die Richtlinien, nach denen der Beirat dabei tätig wird, sind abschließend redaktionell bearbeitet worden und werden auf der Homepage des Vereins veröffentlicht.

Konkrete Tätigkeiten und Planungen des Beirates im abgelaufenen Jahr waren:

o Wissenschaftliche Begleitung und Beratung des Ausstellungsprojektes „Mode-Zeiten“ durch Cordula Reulecke. Die von Dr. Karin Ehrich und Helga Abel konzipierte und erarbeitete Ausstellung zeigt anschaulich, wie mit dem Quellenmaterial aus dem Bestand der Hofstelle übergreifende Fragestellungen bearbeitet werden können. Anhand von optisch interessant wirkenden Modezeitschriften konnten dabei Aussagen über Veränderungen im Frauenbild und Frauenleben durch mehrere Jahrzehnte hinweg getroffen werden. Die Ausstellung bestätigt den Ansatz, die Präsentation ausgewählter Objekte oder Fotos aus der Überlieferung der Hofstelle zu verwenden, um überregionale Entwicklungen und Veränderungen in ihren konkreten Auswirkungen auf das Leben im Dorf darzustellen

o In dieselbe Richtung zielt ein Vortrag, den Dr. Thomas Kubetzky derzeit vorbereitet. Er möchte die kolonialgeschichtlichen Fotos, die in der Ausstellung bereits in einer gesonderten Form präsentiert werden, nutzen, um visuelle Repräsentationen deutscher Kolonialgebiete im Kaiserreich aufzuzeigen. Auch hier sind die Fotos aus Kamerun kein Selbstzweck, vielmehr stehen sie stellvertretend für den deutschen Blick auf die überseeischen Kolonien. Auch grundsätzliche Fragen der Fotoanalyse und –interpretation können an diesem Beispiel thematisiert werden. Der genaue Termin des Vortrages wird rechtzeitig bekannt gegeben.

o Dr. Latzel und Dr. Kubetzky nehmen die Hofstelle in ihre Planungen einer Exkursionswoche am Historischen Seminar der Technischen Universität Braunschweig im Sommersemester 2014 auf. Ziel ist es, studentische Qualifikationsarbeiten anzuregen. Dies können neben Seminararbeiten oder Bachelorarbeiten vorrangig auch praktisch orientierte Projekte wie kleinere Ausstellungen sein. Mit der Hofstelle steht gleichzeitig ein Veranstaltungsort zur Präsentation der Ergebnisse, etwa in Form von Vorträgen, zur Verfügung.

o Grundlage dieser wie weiterer Projekte ist eine Verknüpfung der in den einzelnen Räumen der Ausstellung behandelten Themen mit übergreifend bedeutsamen Problemkomplexen. Dr. Jens Binner hat damit begonnen, diese Verknüpfungen herauszuarbeiten und erste Ergebnisse in den Richtlinien des Beirates niedergelegt. Die Verknüpfungen muss künftig wesentlich verfeinert und präzisiert werden, um überregionalen Forschungsinstitutionen aufzuzeigen, zu welchen Themen mit den Quellenbeständen der Hofstelle sinnvoll gearbeitet werden kann.

o Die wichtigste Zielgruppe für den Besuch der Hofstelle werden Schulen der näheren und weiteren Umgegend bleiben. Von daher kommt pädagogischen Projekten eine besondere Bedeutung zu. Dr. Kubetzky plant, im Rahmen eines studentischen Projektes exemplarisch pädagogisches Material zu einem ausgewählten Themenfeld zu erarbeiten. Es ist zu erwarten, dass dadurch den Schulen das didaktische Potential der ZeitRäume besser dargelegt werden kann. Die Erfahrungen dieses exemplarischen Projektes sollen darauf hin ausgewertet werden, ob es sinnvoll ist, einen größeren Projektantrag zur umfassenden Erarbeitung pädagogischer Materialien zu formulieren

Grundsätzlich bleibt das Problem bestehen, dass die Mitglieder des Beirates ehrenamtlich tätig sind, es aber kein hauptamtliches Personal gibt, dass Empfehlungen des Beirates umsetzen könnte. Von daher bleibt eine weitere Professionalisierung der Hofstelle über regelmäßig präsentes fachlich geschultes Personal ein anzustrebendes Ziel, das als Voraussetzung für eine dauerhafte Etablierung der Hofstelle in der überregionalen Museumslandschaft anzusehen ist. Wenn der Verein hierzu Vorschläge an die Gemeinde als Trägerin der Hofstelle richten möchte, wird der Beirat entsprechende Argumentationshilfen erarbeiten.

 

Der wissenschaftliche Beirat des Vereins „ZeitRäume Bodenstedt“ e.V.

Dr. Jens Binner, Sprecher des Beirats, 2. Vorsitzender KHB Peine e.V.

Dipl.-Ing. Cordula Reulecke, Landesamt für Denkmalpflege

Britta Schwartz-Landeck, Gemeinde Vechelde

Dr. Klaus Latzel, Historisches Seminar der TU Braunschweig

Dr. Thomas Kubetzky, Historisches Seminar der TU Braunschweig

 

Kreisheimatbund Peine
Kreisheimatbund Peine