Pressebrichte zur Hofstelle

Reise durch die Heimatgeschichte

 

Mein perfektes Wochenende:

Kindheitserinnerungen und Heimatkunde – Ein Verein kümmert sich um die ZeitRäume und sorgt für Veranstaltungen.

 

Von Harald Meyer

 

Foto: Henrik Bode

3 Fotos

 

Kindheitserinnerungen bei Ingrid Schlüter: Die 70-Jährige steht an der Infotafel und zeigt auf ein Schwarz-Weiß-Foto – sie ist zu sehen als kleines Mädchen, ihre beiden Geschwister und die Eltern. Über Tonband ist die Stimme ihres Bruders Günter Braunschweig zu hören, der vom Alltag der Flüchtlingsfamilie auf diesem Bauernhof in Bodenstedt (Gemeinde Vechelde/Kreis Peine) erzählt – inzwischen ist daraus die Ausstellungs- und Begegnungsstätte ZeitRäume geworden.

 

 

 

„Genau diese Erzählungen von Zeitzeugen machen unsere Einrichtung zum ,lebendigen Museum’“, sagt Dr. Christoph Mayer erfreut – er ist Vorsitzender des Vereins, der sich ehrenamtlich um die ZeitRäume kümmert. Insbesondere sorgen die 75 Vereinsmitglieder dafür, dass diese Hofstelle an Wochenenden für die Bevölkerung zugänglich ist.

 

Ein begehbarer Zeitort, in dem exemplarisch für die gesamte Region Braunschweig und sehr anschaulich die Geschichte der vergangenen rund 130 Jahre abzulesen ist: Um 1878 hat die Familie Seggelke den Dreiseithof an der Hauptstraße in Bodenstedt gebaut, bereits im 16. Jahrhundert muss es an der Stelle eine Gastwirtschaft gegeben haben.

 

„Die ZeitRäume sind noch so eingerichtet wie früher: Die Möbel und die anderen Gegenstände – das ist alles original“, schildert Vereinsmitglied Günter Wolters.

 

So lässt sich auch der Wandel der Landwirtschaft in den ZeitRäumen nachvollziehen: Weil Ackerbau und Viehzucht nicht mehr ausreichten, um die Familie zu ernähren, haben die Eigentümer zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Hauptgebäude eine Gaststätte eingerichtet und eine Kegelbahn angebaut. Im Gaststättenraum im Erdgeschoss steht noch der grüne Jugendstilkachelofen, aus der Hörstation kommt eine Stimme im alten Bodenstedter Platt. Der Ventilator oben in der Wand mutet vorsintflutlich an, genauso wie das Kurbeltelefon aus Holz – bis 1913 das erste Telefon in Bodenstedt, ein öffentliches. Dort in der Ecke, wo eine große Fotografie die Durchreiche zur Küche zeigt, habe „früher am Heiligen Abend immer der große Weihnachtsbaum gestanden“, erinnert sich Ingrid Schlüter. Auf der Kegelbahn ist nun die Dauerausstellung „Frauenbild im Laufe der Zeit“ zu sehen mit alten Modezeitschriften.

 

Im Obergeschoss des Hauptgebäudes – zu erreichen über eine schmale Holztreppe – haben die Hofeigentümer einst einen Tanzsaal eingerichtet für die Feiern der Dorfgemeinschaft. Im Zweiten Weltkrieg wurden dort und in Nebenräumen Zwangsarbeiter untergebracht, die auf dem Hof mitarbeiten mussten; nach Kriegsende wohnten dort Flüchtlinge aus dem Osten wie die Familie von Ingrid Schlüter.

 

„Wir haben hier als fünfköpfige Familie zunächst in einem Zimmer mit 25 Quadratmetern gewohnt“, erinnert sich Ingrid Schlüter, die aus Königsberg stammt und 1947 auf die Hofstelle gekommen ist: „In unserem Raum gab es zu der Zeit keinen Ofen – wir haben ganz schön gefroren.“ Im Saal hat ihr Vater eine provisorische Küche mit einem Kohleherd eingerichtet, die Plumpsklos befanden sich draußen auf dem Hof. „Trotz der ärmlichen Verhältnisse haben wir hier schön gelebt“, meint Ingrid Schlüter im Nachhinein.

 

Während ihrer Erzählungen läuft im Tanzsaal der Original-Schwarz-Weiß-Film von den (gescheiterten) Verhandlungen der US-Amerikaner 1945 mit den Deutschen über eine Übergabe der Stadt Braunschweig – sie fanden in der Wedtlenstedter Schleuse statt. Und über den Einmarsch der US-amerikanischen Streitkräfte im April 1945 in Bodenstedt.

 

In der Hofstelle lässt sich auch der Zeitgeist alter Epochen ablesen: die Füße des riesigen Holzschranks und des Schreibtischs im Herrenzimmer als Löwenpranken; das Wappen des Herzogtums Braunschweig in der Diele; Lanzen und Antilopengeweihe aus Afrika im Zimmer „Kolonialstolz“.

 

 

 

 

CHRONIK UND HINWEISE

 

Im Jahr 2007 hat die Gemeinde Vechelde den denkmalgeschützten Hof von den Privateigentümern gekauft, um ihn vor dem Abriss zu retten und um dort die ZeitRäume einzurichten – sie wurden 2011 eröffnet.

 

In den ZeitRäumen werden die vergangenen 130 Jahre auf Glasstelen beschrieben und an Hörstationen sowie mit Raumtonlautsprechern erlebbar gemacht – die Einrichtung ist noch im Original erhalten.

 

Veranstaltungen in den ZeitRäumen: Soiree „Klavierband“ mit Svetlana Kouznetsova am 23. Februar ab 17 Uhr; Dorfflohmarkt am 27. April von 10 bis 18 Uhr; Hoffest am 18. Mai ab 18 Uhr; Ausstellung „Das Braunschweigische Land in der Weimarer Republik“ – Eröffnung am 20. Juni um 18 Uhr. Am Tag der Braunschweigischen Landschaft am 27. Juli in Vechelde haben die ZeitRäume von 10 bis 18 Uhr geöffnet (Busse zwischen Vechelde/ZeitRäume).

 

Öffnungszeiten der ZeitRäume (mit Café) in Bodenstedt, Hauptstraße 10: sonnabends von 14 bis 17 Uhr, sonntags/feiertags 11 bis 17 Uhr. Montag bis Freitag für Gruppen nach Absprache im Vechelder Rathaus, Telefon: (0 53 02) 80 20. Der Eintritt ist an allen Tagen frei.

 

Mehr Infos unter www.vechelde.de/zeitraeume-bodenstedt

 

„Zu uns kommen Besucher aus allen Altersgruppen“, versichert Sabine Wegener, die zu den Öffnungszeiten der ZeitRäume vor Ort ist. Vereinsmitglied Hans-Hermann Goebel freut sich, denn: „Wir wollen mit den ZeitRäumen die Geschichte lebendig halten.“

 

Reise durch die Heimatgeschichte

 

Mein perfektes Wochenende: Kindheitserinnerungen und Heimatkunde – Ein Verein kümmert sich um die ZeitRäume und sorgt für Veranstaltungen.

 

Von Harald Meyer

Foto: Henrik Bode 3 Fotos

 

Kindheitserinnerungen bei Ingrid Schlüter: Die 70-Jährige steht an der Infotafel und zeigt auf ein Schwarz-Weiß-Foto – sie ist zu sehen als kleines Mädchen, ihre beiden Geschwister und die Eltern. Über Tonband ist die Stimme ihres Bruders Günter Braunschweig zu hören, der vom Alltag der Flüchtlingsfamilie auf diesem Bauernhof in Bodenstedt (Gemeinde Vechelde/Kreis Peine) erzählt – inzwischen ist daraus die Ausstellungs- und Begegnungsstätte ZeitRäume geworden.

 

„Genau diese Erzählungen von Zeitzeugen machen unsere Einrichtung zum ,lebendigen Museum’“, sagt Dr. Christoph Mayer erfreut – er ist Vorsitzender des Vereins, der sich ehrenamtlich um die ZeitRäume kümmert. Insbesondere sorgen die 75 Vereinsmitglieder dafür, dass diese Hofstelle an Wochenenden für die Bevölkerung zugänglich ist.

 

Ein begehbarer Zeitort, in dem exemplarisch für die gesamte Region Braunschweig und sehr anschaulich die Geschichte der vergangenen rund 130 Jahre abzulesen ist: Um 1878 hat die Familie Seggelke den Dreiseithof an der Hauptstraße in Bodenstedt gebaut, bereits im 16. Jahrhundert muss es an der Stelle eine Gastwirtschaft gegeben haben.

 

„Die ZeitRäume sind noch so eingerichtet wie früher: Die Möbel und die anderen Gegenstände – das ist alles original“, schildert Vereinsmitglied Günter Wolters.

 

So lässt sich auch der Wandel der Landwirtschaft in den ZeitRäumen nachvollziehen: Weil Ackerbau und Viehzucht nicht mehr ausreichten, um die Familie zu ernähren, haben die Eigentümer zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Hauptgebäude eine Gaststätte eingerichtet und eine Kegelbahn angebaut. Im Gaststättenraum im Erdgeschoss steht noch der grüne Jugendstilkachelofen, aus der Hörstation kommt eine Stimme im alten Bodenstedter Platt. Der Ventilator oben in der Wand mutet vorsintflutlich an, genauso wie das Kurbeltelefon aus Holz – bis 1913 das erste Telefon in Bodenstedt, ein öffentliches. Dort in der Ecke, wo eine große Fotografie die Durchreiche zur Küche zeigt, habe „früher am Heiligen Abend immer der große Weihnachtsbaum gestanden“, erinnert sich Ingrid Schlüter. Auf der Kegelbahn ist nun die Dauerausstellung „Frauenbild im Laufe der Zeit“ zu sehen mit alten Modezeitschriften.

 

Im Obergeschoss des Hauptgebäudes – zu erreichen über eine schmale Holztreppe – haben die Hofeigentümer einst einen Tanzsaal eingerichtet für die Feiern der Dorfgemeinschaft. Im Zweiten Weltkrieg wurden dort und in Nebenräumen Zwangsarbeiter untergebracht, die auf dem Hof mitarbeiten mussten; nach Kriegsende wohnten dort Flüchtlinge aus dem Osten wie die Familie von Ingrid Schlüter.

 

„Wir haben hier als fünfköpfige Familie zunächst in einem Zimmer mit 25 Quadratmetern gewohnt“, erinnert sich Ingrid Schlüter, die aus Königsberg stammt und 1947 auf die Hofstelle gekommen ist: „In unserem Raum gab es zu der Zeit keinen Ofen – wir haben ganz schön gefroren.“ Im Saal hat ihr Vater eine provisorische Küche mit einem Kohleherd eingerichtet, die Plumpsklos befanden sich draußen auf dem Hof. „Trotz der ärmlichen Verhältnisse haben wir hier schön gelebt“, meint Ingrid Schlüter im Nachhinein.

 

Während ihrer Erzählungen läuft im Tanzsaal der Original-Schwarz-Weiß-Film von den (gescheiterten) Verhandlungen der US-Amerikaner 1945 mit den Deutschen über eine Übergabe der Stadt Braunschweig – sie fanden in der Wedtlenstedter Schleuse statt. Und über den Einmarsch der US-amerikanischen Streitkräfte im April 1945 in Bodenstedt.

 

In der Hofstelle lässt sich auch der Zeitgeist alter Epochen ablesen: die Füße des riesigen Holzschranks und des Schreibtischs im Herrenzimmer als Löwenpranken; das Wappen des Herzogtums Braunschweig in der Diele; Lanzen und Antilopengeweihe aus Afrika im Zimmer „Kolonialstolz“.

 

 

CHRONIK UND HINWEISE

 

Im Jahr 2007 hat die Gemeinde Vechelde den denkmalgeschützten Hof von den Privateigentümern gekauft, um ihn vor dem Abriss zu retten und um dort die ZeitRäume einzurichten – sie wurden 2011 eröffnet.

 

In den ZeitRäumen werden die vergangenen 130 Jahre auf Glasstelen beschrieben und an Hörstationen sowie mit Raumtonlautsprechern erlebbar gemacht – die Einrichtung ist noch im Original erhalten.

 

Veranstaltungen in den ZeitRäumen: Soiree „Klavierband“ mit Svetlana Kouznetsova am 23. Februar ab 17 Uhr; Dorfflohmarkt am 27. April von 10 bis 18 Uhr; Hoffest am 18. Mai ab 18 Uhr; Ausstellung „Das Braunschweigische Land in der Weimarer Republik“ – Eröffnung am 20. Juni um 18 Uhr. Am Tag der Braunschweigischen Landschaft am 27. Juli in Vechelde haben die ZeitRäume von 10 bis 18 Uhr geöffnet (Busse zwischen Vechelde/ZeitRäume).

 

Öffnungszeiten der ZeitRäume (mit Café) in Bodenstedt, Hauptstraße 10: sonnabends von 14 bis 17 Uhr, sonntags/feiertags 11 bis 17 Uhr. Montag bis Freitag für Gruppen nach Absprache im Vechelder Rathaus, Telefon: (0 53 02) 80 20. Der Eintritt ist an allen Tagen frei.

 

Mehr Infos unter

www.vechelde.de/zeitraeume-bodenstedt

 

„Zu uns kommen Besucher aus allen Altersgruppen“, versichert Sabine Wegener, die zu den Öffnungszeiten der ZeitRäume vor Ort ist. Vereinsmitglied Hans-Hermann Goebel freut sich, denn: „Wir wollen mit den ZeitRäumen die Geschichte lebendig halten.“

 

PAZ berichtet am 02.05.2013 23:30 Uhr

 

Bodenstedt

 

Kuchengenuss im ehemaligen Pferdestall

Bodenstedt. Backen und Kochen - beides liegt Marion Dreger. Naheliegend daher die Idee, ein Café in Bodenstedt zu eröffnen - und zwar im ehemaligen Pferdestall des Museums ZeitRäume Bodenstedt. Am vergangenen Wochenende feierte das Hofcafé Eröffnung.

 

„Eigentlich sollte das Ganze ja schon im letzten Jahr im Sommer starten“, erzählt Dreger. Doch so schnell wie gewünscht, ging es dann doch nicht. Zwar war die Vechelder Verwaltung begeistert von den Plänen der 54-jährigen Bodenstedterin, doch da waren noch Auflagen vom Lebensmittelamt, die erfüllt werden mussten. „Und als es dann im Dezember grünes Licht gab, wollte ich auch nicht aufmachen.“

Für die gelernte Bürokauffrau und Betriebswirtin ist die Gastronomie völliges Neuland. Vorher hat sie beim Arbeitsamt gearbeitet. Das Hofcafé in Bodenstedt ist eine Art Versuchsballon: „Ich habe hier investiert, mir eine Kaffeemaschine angeschafft, mit der ich auch besondere Kaffeewünsche erfüllen kann“, sagt Dreger. Das Café hat sie erst einmal für ein halbes Jahr von der Gemeinde gepachtet. Wie es danach weitergeht, ist offen.

Trotz einiger Regenschauer zeigte sie sich mit der Resonanz am Eröffnungswochenende zufrieden: „Es lief gut an, ich habe durchweg positive Rückmeldungen bekommen“, sagt Dreger, die zur Eröffnung von ihrer Tochter und einer Freundin unterstützt wurde. Überwiegend Menschen älterer Generation hätten sich zu einem Stück Kuchen und einer Tasse Kaffee eingefunden. Ihr Fazit: „Es hat allen geschmeckt.“

Bei wärmeren Temperaturen können die Gäste auch draußen auf dem Hof sitzen. Ihre Kuchen backt Dreger übrigens selbst und zwar vor Ort in der Küche des ehemaligen Pferdestalls. Darin allein schalten und walten kann die Bodenstedterin aber nicht: Der Raum wird auch von zwei Vereinen genutzt. Für Dreger eine kleine Herausforderung: „Aber wir probieren das einfach alles aus.“

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•Das Hofcafé an der Hauptstraße 10 in Bodenstedt ist sonnabends von 14 bis 17 Uhr sowie sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet.

Marion Dreger (Mitte) mit Tochter Linell (r.) und Freundin Susanne.
Marion Dreger (Mitte) mit Tochter Linell (r.) und Freundin Susanne.

Braunschweiger Zeitung 4. Mai 2013

 

http://www.braunschweiger-zeitung.de/freizeit/freizeit-tipps/mein-perfektes-wochenende-betoerende-giulia-gtc-id990367.html

 

 

Mein perfektes Wochenende: Betörende Giulia GTC

Bodenstedt Zu einem perfekten Wochenende gehört für Marcus Anlauff eine Spazierfahrt im Oldtimer. Er liebt alte Sachen – vom Auto bis zur Zahnpastatube.

 

Von Jörg Brokmann

 

Es duftet nach altem Leder, ein zarter Hauch Benzin weht über ihren Körper, ihre Formen sind betörend, bisweilen verstörend, nur empfindliche Nasen stört ihr leicht muffiger Geruch. Giulia röhrt, zieht die ersten Blicke an trotz ihre hohen Alters, die Reaktionen auf ihr Erscheinen reichen von Bewunderung über Erstaunen bis hin zu empörtem Maulen, Meckern – das aber nur ganz selten. Sie hat sich heute weit geöffnet, lässt tief blicken in ihr Inneres. Sie hat sich geschmückt für den heutigen Tag, vielmehr hat sie Marcus Anlauff herausgeputzt. Sie ist sein bestes Stück – Jahrgang 1966. Und das Beste noch nicht von weg.

Heute wird die alte Dame aus dem Hause Alfa Romeo in den Landkreis Peine ausgeführt. Ihr Alter sieht man ihr wahrlich nicht an. Giulia ist ein seltenes Exemplar, von dem wunderschönen Cabrio seien nur 1000 gebaut worden, sagt ihr stolzer Besitzer.

Ich habe an einem sonnigen Frühlingstag das Vergnügen, mich im Schoß der sehr gut gepflegten Grand Dame des renommierten Bolidenherstellers zu fläzen. Ganz flach über dem Boden, mit Tuchfühlung zum Asphalt.

Wir gönnen uns an diesem Wochenende eine Zeitreise in die Vergangenheit – in das vorherige Jahrhundert, fahren mit den Händen über kostbare Werke automobiler Baukunst, hören Originaltöne aus Zeiten der Wochenschauen, fühlen die schweren Phasen aus Nationalsozialismus und der Flüchtlingszeit nach dem 2. Weltkrieg nach. Doch dazu später mehr.

Zunächst stülpen wir die Caps über, lassen uns in den Alfa sinken und düsen aufs Land. Um die Mittagszeit ist nicht viel los im alten Braunschweiger Land. Bei 100 Stundenkilometern zwischen den Feldern drohen uns die Mützen wegzufliegen. Ich grinse bis zu den Ohren, freue mich, denn der sonnige, wenn auch kühle Tag bietet die idealen Voraussetzungen für den Ausflug ins Grüne. Marcus zeigt sich souverän, steuert uns gekonnt durch die Kurven, wenn der Griff am Lenkrad auch fest sein muss – von Servo-Lenkung noch keine Spur. Die Bodenwellen dringen in die Körper.

Doch der Oldtimer-Freak ist das gewohnt, erzählt von seinen Vorlieben für alte Autos, für schöne alte Sachen allgemein. In seiner Oldie-Halle steht eine alte Kneipeneinrichtung aus Wendeburg. Daneben eine Polizei-Uniform, die eine Schaufensterpuppe kleidet. Alltagswaren wie Zahnpasta- oder Cremedosen aus der Wirtschaftswunderzeit zieren die Garage. Es ist mollig.

„Wärme ist besser für die Autos“ – seine Lieblinge, sagt der so sympathische Schöngeist. Abgesehen von Giulias geschlossenem Bruder, dem Alfa GT 1300 Junior, in dem er seine Frau vor gut 20 Jahren vor den Traualtar chauffierte, fällt ein besonders gutes Stück ins Auge.

Ein orangefarbener T2, ein Bully, Jahrgang 1979, ein Campingbus der Extraklasse mit mobilem Interieur, einer tragbaren Küche und einem nur unwesentlich getunten Motor. „Sonst werden wir in den Bergen von den Lastwagen überholt.“ Vor dieser Gefahr hat ihn der Motorenbauer Rainer Orminski aus Groß Lafferde geschützt. Der schraubte das neue Bully-Prachtstück zusammen.

Unsere Zeitreise setzt sich zunächst fort, indem wir Reiner in seinem heimischen Refugium besuchen, das er nur ungern verlässt. Ein großes Einfamilienhaus. Auf dem Grundstück, im Vorgarten sozusagen, finden sich zwei rote, recht unscheinbare Käfer. 1302 sagt mir mein ungeschulter Blick. Und ein grasgrüner NSU Prinz L. Ziemlich verrottet. „Den habe ich geschenkt bekommen“, beschwert sich Rainer.

Noch vor wenigen Wochen wucherten Pflanzen, die sich durchs Bodenblech gebohrt hatten, im Innenraum. „Den soll sich nun wieder aufpeppen“, klagt er und ein winziges Lächeln umspielt seine Mundwinkel.

Beim Blick in seine 300-Quadratmeter-Spiefläche im Keller wird klar, warum er sich freut über die grüne Schrottlaube vor der Tür. „Ein Goggomobil aus 1964 sah noch vor einigen Jahren ähnlich aus“ – bevor sich der Selfmademan dem Auto armer Leute widmete – sein Baufortschritt ist übrigens im Internet nachzuvollziehen. Kindheitserinnerungen werden wach. Damit nicht genug. An der Decke hängen Porsche-Karosserien, fahrbereit darunter ein 914er, der jeden Oldtimerfan mit der Zunge schnalzen lässt.

Nach gut einer Stunde fällt es Marcus und auch mir schwer, sich von dem Freak aus der Provinz, dessen Motorbau-Künste nach eigenen Angaben nur fünf Menschen in ganz Deutschland beherrschen, zu trennen. Wir versammeln uns vor seinem unscheinbaren Käfer mit 180-PS-Motor. Er im Graumann – wie immer eigentlich. Ein normaler Arbeitstag, der Sonnabend.

Den Nostalgiker zieht es weiter, weg vom Automobil, hin zu einer historischen Stätte mitten im Dorf – in Bodenstedt im Landkreis Peine. Im Museum „Zeiträume“ empfangen uns Räume mit komplett eingerichteten Originaleinrichtungen aus verschiedenen Stilepochen. Marcus ist in seinem Element – fotografiert die Kochgelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Und staunt schweigend. Das 1878 errichtete Haupthaus im 3-Seit-Hof, in dem bis 1934 eine Gaststätte mit Tanzsaal und Kegelbahn betrieben wurde, gewährt Einblicke in die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Die kulturhistorischen und politischen Entwicklungen von der Kaiserzeit bis in der 1960er Jahre werden über Informationsstelen vermittelt.

Im Tanzsaal waren während des zweiten Weltkrieges Zwangsarbeiter untergebracht, die in der Landwirtschaft schufteten. Wir schwelgen in – unangenehmen Erinnerungen an eine schreckliche Zeit, die wir aus Büchern und Filmen kennen. Auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.

Ein facettenreiche Zeitreise endet. Ein Tag voller Gegensätze. Ich verabschiede mich schweren Herzens von der faszinierenden Giulia. Und Marcus Anlauff schwingt sich zum Ausklang des Tages auf seine spanische Cross-Maschine Marke Bultaco, ein selbst zusammengebauter Zweitakter. Abendausflug in den Elm.

Marcus Anlauff im Alfa Romeo Giulia GTC vor dem Museum „Zeiträume“ in Bodenstedt im Landkreis Peine.

Marcus Anlauff im Alfa Romeo Giulia GTC vor dem Museum „Zeiträume“ in Bodenstedt im Landkreis Peine.

Foto: Jörg Brokmann

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Kreisheimatbund Peine
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